Die zwölf Wildenten, norwegisches Märchen

Es war einmal eine Königin, die fuhr mit ihrem Schlitten durch das Land. Als sie aber ein Stück Weg gefahren war, begann sie aus der Nase zu bluten und musste aus ihrem Schlitten aussteigen. Als sie gegen den Zaun lehnend das rote Blut auf dem weißen Schnee sah, fiel ihr ein, dass sie zwar zwölf Söhne, aber keine Tochter hatte. Da sagte sie zu sich: "Wenn ich nur eine Tochter hätte, die so weiß wie Schnee und so rot wie Blut wäre, dann würde es mich nicht kümmern, was aus meinen Söhnen würde.“

 

Kaum waren die Worte aus ihrem Mund, kam auch schon eine alte Trollhexe auf sie zu. "Eine Tochter sollst du haben", sagte sie, "und sie soll so weiß wie Schnee und so rot wie Blut sein; und deine Söhne sollen mir gehören, aber du darfst sie behalten, bis der Säugling getauft ist.“

 

Bald darauf bekam die Königin eine Tochter, und sie war so weiß wie Schnee und so rot wie Blut, wie es die Trollhexe versprochen hatte, und so nannte man sie "Schneeweiß und Rosenrot". Nun, es herrschte große Freude am Hof des Königs, und die Königin war so froh, wie man sich nur freuen konnte; aber als ihr in den Sinn kam, was sie der alten Hexe versprochen hatte, ließ sie einen Silberschmied kommen und befahl ihm, zwölf Silberlöffel zu machen, einen für jeden Prinzen, und danach befahl sie ihm, noch einen zu machen, und den gab sie ihrer Tochter.

 

Sobald die Prinzessin jedoch getauft worden war, verwandelten sich die zwölf Prinzen in zwölf Wildenten und flogen davon, und sie sahen sie nie wieder.

 

Die Prinzessin wuchs heran und wurde gross und schön, aber sie war oft seltsam traurig, und niemand konnte verstehen, was sie quälte. Eines Abends war auch die Königin traurig, denn sie hatte viele seltsame Gedanken, wenn sie an ihre Söhne dachte. Sie sagte zu Schneeweiß und Rosenrot: "Warum bist du so traurig, meine Tochter? Gibt es etwas, das du dir wünschst? Wenn ja, sag es nur und du sollst es bekommen." - "Oh, es ist hier so langweilig und einsam", sagte Schneeweiß und Rosenrot. „Alle anderen haben Brüder und Schwestern, aber ich bin ganz allein; ich habe keine; und deshalb bin ich so traurig." - "Aber du hattest Brüder, meine Tochter", sagte die Königin. "Ich hatte zwölf Söhne, die einmal deine Brüder waren, aber ich habe sie alle weggegeben, um dich zu bekommen." Und so erzählte sie ihr die ganze Geschichte. Als die Prinzessin dies hörte, hatte sie keine Ruhe. Die Königin konnte sagen und tun, weinen und bitten, wie sie wollte, das Mädchen war fest entschlossen, sich auf den Weg zu machen, um ihre Brüder zu suchen. Sie dachte nämlich, es sei alles ihre Schuld. So machte sie sich auf und ging immer weiter und weiter in die weite Welt hinein, so weit, wie sie es nie für möglich gehalten hätte.

 

Eines Tages, als sie durch einen großen, großen Wald ging, fühlte sie sich müde, setzte sich auf ein moosiges Büschel und schlief ein. Dort träumte sie, dass sie immer tiefer in den Wald hinein ginge, bis sie zu einer kleinen Holzhütte käme, und dort fände sie ihre Brüder. Sie erwachte und sah gerade vor sich einen abgenutzten Pfad im grünen Moos, und dieser Pfad führte tiefer in den Wald hinein, also folgte sie ihm, und nach langer Zeit kam sie zu genau so einem kleinen Holzhäuschen, wie sie es in ihrem Traum gesehen hatte.

 

Als sie das Häuschen betrat, war niemand zu Hause, aber es standen dort zwölf Betten, zwölf Stühle und zwölf Löffel - kurz gesagt, ein Dutzend von allem. Als sie dies sah, war sie so froh wie schon lange nicht mehr, denn sie konnte sofort erahnen, dass ihre Brüder hier lebten. Also begann sie, ein Feuer zu machen, das Zimmer zu fegen, die Betten zu machen, Essen zu kochen und das Haus so ordentlich wie möglich zu machen; und als sie all das Kochen und Arbeiten erledigt hatte, aß sie ihr eigenes Essen, legte den Löffel weg und kroch unter das Bett ihres jüngsten Bruders.

 

Kaum hatte sie sich hingelegt, da hörte sie schon etwas in der Luft flattern und schwirren, da kamen alle zwölf Wildenten herein geflogen; aber sobald sie die Schwelle überschritten hatten, wurden sie zu Prinzen. "Oh, wie schön und warm ist es hier drinnen", sagten sie. "Der Himmel segne den, der das Feuer gemacht und ein so gutes Essen für uns gekocht hat". Und so nahm jeder seinen Silberlöffel und wollte essen. Aber als jeder seinen eigenen genommen hatte, blieb immer noch einer auf dem Tisch liegen, und er war den anderen so ähnlich, dass sie ihn nicht unterscheiden konnten.

 

"Das ist der Löffel unserer Schwester", sagten sie, "und wenn ihr Löffel hier ist, kann sie selbst nicht weit weg sein.“ - "Wenn dies der Löffel unserer Schwester ist und sie hier ist", sagte der Älteste, "dann soll sie getötet werden, denn sie ist schuld an  unserem Leiden."

Die Schwester lag unter dem Bett und hörte zu. "Nein", sagte der Jüngste, "es wäre eine Schande, sie dafür zu töten. Sie hat nichts mit unserem Leiden zu tun; denn wenn jemand schuld ist, dann unsere eigene Mutter." Also suchten sie sie überall, und schließlich schauten sie auch unter den Betten nach, und als sie zum Bett des jüngsten Prinzen kamen, fanden sie das Mädchen und zerrten es hervor. Der älteste Prinz wünschte wieder, dass sie getötet würde, aber sie bat um ihr Leben. "Oh, gnädige Güte! Töte mich nicht, denn ich habe euch die letzten drei Jahre gesucht, und wenn ich euch nur erlösen könnte, würde ich dafür bereitwillig mein Leben geben.“ - "Nun! "sagten sie, "wenn du uns erlöst, darfst du dein Leben behalten; denn du kannst es, wenn du nur willst." - "Ja, sagt mir, was ich tun muss und ich werde es tun, was auch immer es sein mag.“ - "Du musst Distelwolle pflücken", sagten die Prinzen, "und du musst sie kardieren, spinnen und weben; und nachdem du das getan hast, musst du zwölf Mäntel und zwölf Hemden und zwölf Halstücher daraus anfertigen, eins für jeden von uns. Während du das tust, darfst du weder sprechen, noch lachen, noch weinen. Gelingt dir das, dann sind wir frei." - "Aber wo soll ich jemals genug Distelwolle für so viele Halstücher, Hemden und Mäntel herbekommen? " fragte die Prinzessin. "Wir werden sie dir zeigen", sagten die Prinzen.

 

Und so nahmen sie sie mit zu einem großen, weiten Moor voller Disteln, die alle nickend und schläfrig in der Brise standen und deren Daunen in den Sonnenstrahlen glitzerten. Die Prinzessin hatte noch nie in ihrem Leben eine solche Menge Disteln gesehen, und sie begann, sie so schnell und so gut sie konnte zu zupfen und einzusammeln; und als sie abends nach Hause kam, machte sie sich an die Arbeit und spann Garn von den Daunen. So machte sie lange Zeit weiter, pflückte, kardierte und spann, während sie das Haus ihrer Brüder pflegte, für sie kochte und ihre Betten machte. Am Abend kamen die Wildenten nach Hause, flatterten und surrten, und die ganze Nacht lang waren sie Prinzen, aber am Morgen flogen sie wieder aus und waren den ganzen Tag lang Wildenten.

 

Eines Tages geschah es, als sie im Moor war - und wenn ich mich nicht irre, war es das allerletzte Mal, dass sie dorthin gegangen war -, dass der junge König, der dieses Land regierte, auf der Jagd war, über das Moor ritt und sie sah. Er hielt an und fragte sich, wer die schöne Dame sein könnte, die im Moor Disteln pflückte, und er fragte sie nach ihrem Namen, und als er keine Antwort bekam, war er noch mehr erstaunt. Und schließlich gefiel sie ihm so sehr, dass er sie mit sich nach Hause auf sein Schloss nehmen wollte, um sie zu heiraten. Also befahl er seinen Dienern, sie auf sein Pferd zu setzen. Die Prinzessin aber rang ihre Hände und machte ihnen Zeichen und zeigte auf die Säcke, in denen ihre Arbeit war, und als der König sah, dass sie sie bei sich haben wollte, befahl er seinen Männern, die Säcke aufzunehmen. Als sie das getan hatten, beruhigte sich die Prinzessin, denn der König war sowohl ein weiser als auch ein schöner Mann, und er war sanft und freundlich zu ihr.

 

Aber als sie nach Hause zum Palast kamen und die alte Königin, die seine Stiefmutter war, Schneeweiß und Rosenrot erblickte, wurde sie so wütend und eifersüchtig auf die junge Prinzessin, dass sie zum König sagte: "Siehst du nicht, dass dieses Ding, das du mitgebracht hast, eine Hexe ist? Sie kann weder reden, noch lachen, noch weinen!" Aber dem König war es egal, was seine Mutter sagte, und er hielt an der Hochzeit fest und heiratete Schneeweiß und Rosenrot, und sie lebten in großer Freude und Herrlichkeit; aber sie vergaß nicht, ihre Hemden weiter zu nähen.

 

Als das Jahr fast vorüber war, brachte Schneeweiß und Rosenrot einen Prinzen zur Welt. Darüber wurde die alte Königin noch boshafter und eifersüchtiger denn je, und mitten in der Nacht schlich sie sich zu Schneeweiß und Rosenrot während sie schlief, nahm ihr Kind und warf es in eine Grube voller Schlangen. Danach schnitt sie sie in den Finger, schmierte ihr das Blut über den Mund und ging direkt zum König. "Nun komm und sieh", sagte sie, "was für ein Ding du als deine Königin genommen hast; hier hat sie ihr eigenes Kind aufgegessen. Da war der König so niedergeschlagen, dass er fast in Tränen ausbrach und sagte: "Ja, es muss wahr sein, ich sehe es mit meinen eigenen Augen; aber sie wird es nicht wieder tun, da bin ich mir sicher, und deshalb werde ich diesmal ihr Leben verschonen.“

 

Noch bevor das nächste Jahr vorbei war, bekam Schneeweiß und Rosenrot einen weiteren Sohn, und das Gleiche geschah. Die Stiefmutter des Königs wurde immer eifersüchtiger und gehässiger. Sie schlich des nachts zur jungen Königin, während sie schlief, nahm das Kind weg und warf es in eine Grube voller Schlangen, schnitt der jungen Königin in den Finger und schmierte ihr das Blut über den Mund. Dann ging sie zum König und sagte ihm, dass seine Frau ihr eigenes Kind aufgegessen hätte. Der König war so traurig, dass man sich nicht ausdenken kann, und sagte: "Ja, es muss wahr sein, da ich es mit meinen eigenen Augen sehe; aber sie wird es nicht wieder tun, da bin ich mir sicher, und so werde ich auch dieses Mal ihr Leben verschonen.“

 

Nun, bevor das nächste Jahr vorbei war, brachte Schneeweiß und Rosenrot eine Tochter zur Welt, und auch sie nahm die alte Königin und warf sie in die Grube voller Schlangen, während die junge Königin schlief. Dann schnitt sie ihr in den Finger, schmierte ihr das Blut über den Mund und ging wieder zum König: "Jetzt darfst du kommen und sehen, ob es nicht so ist, wie ich sage; sie ist eine böse, böse Hexe, denn sie hat auch ihr drittes Kind aufgefressen.“ Da war der König so traurig, dass es kein Ende nahm, denn nun konnte er sie nicht mehr verschonen, sondern musste sie bei lebendigem Leib auf einem Holzhaufen verbrennen lassen.

 

Aber gerade als der Haufen in Flammen stand und die Wächter sie darauf legen wollten, machte Schneeweiß und Rosenrot ihnen Zeichen, zwölf Bretter zu nehmen und sie um den Haufen zu legen, und auf diese legte sie die Halstücher, die Hemden und die Mäntel für ihre Brüder. Am Hemd des jüngsten Bruders jedoch fehlte der linke Ärmel, denn sie hatte keine Zeit gehabt, ihn zu beenden.

 

Nun hörten sie ein Flattern und Surren in der Luft und es kamen zwölf Wildenten über den Wald geflogen, und jeder von ihnen schnappte sich seine Kleider  mit dem Schnabel und flog mit ihnen davon.

 

"Siehe jetzt! "sagte die alte Königin zum König: "Hatte ich nicht Recht, als ich euch sagte, dass sie eine Hexe ist? Aber beeilt euch und verbrennt sie, bevor der Haufen niederbrennt.“ - "Oh!" sagte der König, "wir haben genug Holz, und ich warte noch ein wenig, denn ich möchte sehen, wie das alles enden wird.“ Kaum hatte er das gesagt, da kamen zwölf Prinzen angeritten, hübsche, gut gewachsene Burschen; aber der jüngste Prinz hatte statt seines linken Arms den Flügel einer Wildente.

 

"Was hat das alles zu bedeuten?" fragten die Prinzen. "Meine Königin soll verbrannt werden", sagte der König, "weil sie eine Hexe ist und weil sie ihre eigenen Kinder aufgefressen hat". - "Sie hat gar nichts aufgefressen", sagten die Prinzen. "Sprich jetzt, Schwester. Du hast uns erlöst und gerettet, jetzt rette dich selbst."

 

Dann sprach Schneeweiß und Rosenrot und erzählte die ganze Geschichte: wie sie jedes Mal, wenn sie im Kindsbette gelegen war, die alte Königin, die Stiefmutter des Königs, nachts in ihr Zimmer geschlichen kam und ihr die Kinder weggenommen hatte, wie sie ihr in den kleinen Finger geschnitten und ihr das Blut über den Mund geschmiert hatte. Und dann nahmen die Prinzen den König und zeigten ihm die Schlangengrube, in der die drei Kinder lagen und friedlich mit Ottern und Kröten spielten. Schönere Kinder hatte man nie gesehen. Der König ließ sie sofort herausnehmen und ging zu seiner Stiefmutter und fragte sie, welche Strafe sie glaubte, dass diese Frau, die in ihrem Herzen eine schuldlose Königin und ihre drei so gesegneten kleinen Kinder verraten könnte, verdient hätte. "Sie verdient es, zwischen zwölf wilde Pferde gespannt zu werden", sagte die alte Königin. "Ihr habt euer eigenes Schicksal gesprochen", sagte der König, "und ihr werdet es sofort erleiden.“

 

So wurde die böse alte Königin zwischen zwölf Pferde gebunden, die wild auseinanderstoben. Aber der König nahm Schneeweiß und Rosenrot, ihre drei Kinder und die zwölf Prinzen mit; und so gingen sie alle nach Hause zu Vater und Mutter und erzählten alles, was ihnen widerfahren war, und es herrschte Freude und Jubel im ganzen Königreich, weil die Prinzessin gerettet und befreit worden war und weil sie ihre zwölf Brüder erlöst hatte.

 

 

 

So wurde die böse alte Königin zwischen zwölf Pferde gebunden, die wild auseinanderstoben. Aber der König nahm Schneeweiß und Rosenrot, ihre drei Kinder und die zwölf Prinzen mit; und so gingen sie alle nach Hause zu Vater und Mutter und erzählten alles, was ihnen widerfahren war, und es herrschte Freude und Jubel im ganzen Königreich, weil die Prinzessin gerettet und befreit worden war und weil sie ihre zwölf Brüder erlöst hatte.